Journalist, Line Producer & Filmmaker based in Japan
Reisfeld statt Tokio © NZZ Format
Reis bündeln mit Schwung © NZZ Format

Darüber spricht Tokio:
In Japan herrscht Reismangel

In Europa stürzt man sich in Pandemien oder bei Warnungen vor Unwettern auf Klopapier. Nicht so in Japan. Hier will man in der Krise vor allem auf eins nicht verzichten: den einheimischen Reis.

„Endlich konnte ich wieder Reis kaufen. Über einen Bestellservice. Was für eine Erleichterung!“, schreibt ein japanischer Nutzer des Kurznachrichtendienstes X am Freitag. „Und wie ist die Lage bei euch, habt ihr welchen bekommen?“

Seit Anfang Sommer die ersten Anzeichen von Reismangel aufgetreten sind, hörte man vielerorts: „Komatta“ – „Das bringt uns in eine schwierige Lage“. In sozialen Netzwerken kursiert sogar der Hashtag #Reis-Aufstände. Sushi-Restaurants konnten nicht genügend Reis einkaufen oder nur zu hohen Preisen. Kunden fanden wochenlang nur leere Reisregale im Supermarkt und ein Schild mit der Aufschrift: „Es tut uns leid – pro Haushalt nur ein Sack.“ Anfang September war die Lage gar so prekär, dass sogar die Portionspackungen für die Mikrowelle ausverkauft waren. Portionspackungen!

Sie selbst esse nicht so viel Reis, aber unter vielen jungen Leuten sei es üblich, morgens Toast zu essen und mittags und abends Reis, sagt eine Supermarkt-Angestellte. Einmal am Tag Reis müsse schon sein, sagt auch eine 76-jährige Kundin, die gerade erstaunt entdeckt hat, dass auf den Reisregalen in ihrem Stammladen in Tokio wieder ein paar Säcke liegen.

Sie erinnere sich noch an den Reismangel von 1993. Damals habe ein sehr kalter Sommer für Missernten gesorgt, und Japan habe Langkornreis aus Thailand importiert. Der habe ihr nicht geschmeckt. Aber so schlimm könne es dieses Mal nicht werden. Die Regierung kaufe doch Notvorräte, erklärt sie – sie habe aber die Lagerhäuser nicht geöffnet.

Mit ihrer Präferenz für einheimischen Reis ist die Rentnerin nicht allein. „Nihon no kome wa sekai ichi“ – „Japanischer Reis ist der beste der Welt“, rockte die Band Gokumon kürzlich bei einem Musikfestival in Tokio. Im Song zählte sie Dutzende von Gerichten mit Reis sowie Reissorten auf und projizierte Bilder von leckeren Reisgerichten auf die Bühne. „We want ‹kome›!“ – „Wir wollen Reis!“, forderten die Musiker. Das Publikum liess sich seine Pein nicht anmerken und skandierte tapfer mit: „Mai, mai!“ – „Reis, Reis!“.

youtube.com/watch

Der Reisnotstand ist darauf zurückzuführen, dass die Ernte 2023 durch die extreme Sommerhitze schlechter ausfiel. Dramatisch verschärft wurde die Lage durch die Warnung vor einem starken Nachbeben Anfang August sowie eine unberechenbare Taifun-Saison. Und wo man in Europa in Krisen Klopapier hortet, stürzten sich die Japaner in den Läden auf ihren Reis.

Zum Glück scheint ein Ende der Krise in Sicht – zum Teil. Seit zwei Wochen läuft die neue Ernte. Die 76-jährige Einkäuferin greift nach einem frisch gelieferten Zwei-Kilo-Sack. Aber sie legt ihn wieder zurück. 1380 Yen (über 8 Franken), wo der vorher nicht einmal 1000 Yen kostete (knapp 6 Franken) – das sei ihr als Rentnerin zu viel. Sie hoffe auf sinkende Preise, sobald mehr neuer Reis nachkomme. „Und derweil esse ich eben Udon-Weizennudeln.“

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