日本在住ジャーナリスト、撮影コーディネーター、ドキュメンタリー映画監督
Der Vulkan Sakurajima in der Nähe von Kagoshima bricht täglich mehrfach aus © Sonja Blaschke
Der Vulkan Sakurajima in der Nähe von Kagoshima bricht täglich mehrfach aus © Sonja Blaschke

Lava Love:
Hochzeitsreise zum Vulkan der Götter

Auf der südjapanischen Insel Kyushu können Besucher Vulkane in allen Aggregatzuständen erleben. Entweder sie dösen und dampfen leicht vor sich oder sie schleudern kräftig Asche, Lava und Gestein. Ein entspannender Nebeneffekt sind die vielen heißen Badequellen. Diese besuchte schon der japanische Volksheld Sakamoto Ryoma mit seiner Frau Oryo – auf ihren 88-tägigen Flitterwochen im „Neapel von Japan“.

Eineinhalb Jahre vor seiner Ermordung stieg der 32-jährige Sakamoto Ryoma mit seiner Frau Oryo auf den heiligsten aller Berge in Süd-Kyushu, den Takachiho-no-mine. Dieser befindet sich im 1934 dazu designierten Kirishima-Yaku Nationalpark. Dort wollte der Samurai den dreizackigen Götterspieß „Amano Sakahoko“ sehen, der dort umgekehrt in einem Steinhaufen am Gipfel steckt – bis heute.

Schlechte Straßen machten den Aufstieg 1866 beschwerlich. Daher ritt das Paar so weit wie möglich nach oben, vielleicht bis zum heutigen Besucherzentrum Takachiho-gawara. Ein Wanderpfad führt vorbei an der Stelle, wo sich vor 1.000 Jahren noch der schon einmal versetzte Kirishima-Schrein befand, bevor ihn ein Vulkanausbruch zum wiederholten Male dem Erdboden gleichmachte. Jetzt sieht man nur noch ein steinumsäumtes Rechteck mit einem Shinto-Tor vor dem heiligen Bezirk.

Rechts davon führen anfangs Steinstufen durch Laubwälder zum Gipfel. Doch spätestens über der Baumgrenze hört das „Wandern für Anfänger“ auf. Nicht, dass der Berg mit seinen 1.574 Metern so hoch wäre. Vielmehr ist der Schichtvulkan auf den höheren Lagen kaum bewachsen und nur von teils recht lose aufliegendem, scharfkantigem Lavagestein bedeckt. Statt Treppensteigen steht nun konzentriertes Klettern auf der Tagesordnung – denn ein falscher Schritt, und los ginge die Rutschpartie!

Atemberaubende Blicke

Doch erste Blicke über das Land bis hin zur Vulkaninsel Sakurajima im Süden, einem der aktivsten Vulkane Japans, über dem derzeit alle paar Stunden atompilzartige Aschewolken aufsteigen, locken Schritt für Schritt nach oben. Nach einer knappen Stunde der erste Höhepunkt: Der Blick in den Krater von Ohachi, aus dem weißer Dampf aufsteigt. Zwischen dem Krater und dem dahinter liegenden Takachiho-no-mine ziehen Greifvögel über tiefrot und schwarz durchzogenen Erdspalten ihre Kreise.

Nach einer halben Runde um den Krater geht es zunächst wieder einige Höhenmeter nach unten. Zwischen den beiden Gipfeln steht ein kleiner Shinto-Altar mit einem Torii davor. Er markiert den ersten Standort des Kirishima-Schreins, der dort vor 1.400 Jahren gebaut worden war. Dahinter sind es nur noch wenige Höhenmeter bis zum Gipfel. Es ist besser, sich nicht auszumalen, was passieren würde, wenn man jetzt das Gleichgewicht verlöre und die Geröllfelder hinab kullerte.

Eine knappe halbe Stunde später nimmt einem nicht mehr die Angst, sondern die Aussicht den Atem. „Der Gipfel war so hoch, dass wir einen atemberaubenden Panoramablick hatten”, schrieb Ryoma an seine Schwester. Selbst für Menschen des Düsenflugzeitalters, die die Welt häufiger von oben sehen können, ist der weite Blick überwältigend: über Zentral-Kyushu hin zu den Präfekturen Miyazaki und Kumamoto, über die Vulkankette von Kirishima mit ihren 2? Bergspitzen, 15 aktiven und 10 mit Wasser gefüllten Vulkanen, bis hin zur felsenzerklüfteten insel Sakurajima.

Mulmige Stille

1866 konnte das junge Paar die Aussicht noch unbeeinträchtigt genießen. 2010 ‚ziert‘ – neben Gipfelhütte, diversen Antennen und Hinweisschildern – ein klotziges Klohäuschen den heiligen Berg: „100 Yen pro Person, Schlüssel in der Hütte holen“ ist in die Tür geritzt. Die eigentliche Attraktion, das unauffällige, kaum einen halben Meter hohe Speerdenkmal, schützt heute eine Eisenkette vor Neugierigen. Die Bronzefigur sieht aus wie aus einer anderen Welt: Von langen spitzen Zacken gekrönt, besteht das untere Drittel aus einem Janus-Kopf mit langen Nasen. „Das ist gewiss das Gesicht eines Tengu“, schrieb Ryoma, „der uns Erwachsene zum Lachen brachte.“

Dabei waren „Tengu“, Berggottheiten der japanischen urreligion Shinto, noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts so gefürchtet, dass sie, wenn der Shogun einen Berg besteigen wollte, per offizieller Bekanntmachung dazu aufgefordert wurden, das Gebiet zu räumen. Man sagt, mit ihren Pinocchio-Nasen wollten sie zeigen, dass sie Lügen und intrigen hochrangiger Samurai und Priester verabscheuten.

Was Ryoma vor 140 Jahren nicht aufgefallen sein dürfte, ist der harsche Kontrast zwischen dem lauten Geplärr japanischer Großstädte mit ihren Pachinko-Höllen und Lautsprecherdurchsagen einerseits und der vollendeten Stille in luftiger Höhe andererseits. Dort ist es nachmittags, wenn die meisten schon wieder den Abstieg angetreten haben, so still, dass es einem mulmig wird. Als ob der Gipfel des Götterberges in dicke Watte gepackt wäre, die allen weltlichen Lärm dämpft. Die beeindruckende Kulisse tut ihr Übriges, um dem Einzelnen seine winzige Rolle auf der Welt klarzumachen, und Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur einzufordern.

Der ideale Ort also, um die japanische Göttersaga dort anzusiedeln. Nicht zuletzt gelten Berge in vielen Kulturen als Kultstätten. Es begab sich also, dass Sonnengöttin Amaterasu, die wichtigste Gottheit des Shinto, ihren Enkel Ninigi-no-Mikoto auf die Erde schickte. Er sollte sich die japanischen inseln untertan machen. Seinen „Landeplatz“ markierte er mit einem umgekehrt in die Erde gesteckten Speer. Er brachte Reissamen vom Himmel mit und heiratete eine Tochter des Berggottes Oho-Yama. Sein urenkel Jimmu ging im siebten Jahrhundert vor Christus als erster „menschlicher“ Kaiser Japans und Begründer der heutigen Dynastie in die Geschichte ein.

Harmonie mit dem Vulkan

Mit den Göttern stelle sich auch besser gut, wer den Legenden vor Ort nachspüren will – sonst könnte einem die wunderbare Aussicht verwehrt bleiben. Der Nationalpark heißt nicht umsonst „Nebelinsel“. Während der „Insel“-Teil übertragen zu sehen ist, ist das „Nebel“-Element besonders in der Regenzeit wörtlich zu nehmen. Dann hüllt sich die Bergkette in undurchdringliches Weiß und der Dampf aus dem Berginnern ist kaum vom Nebel zu unterscheiden. immer wieder werden Wanderrouten aus Sicherheitsgründen gesperrt. Denn am größten Vulkan Japans, am Aso in Kumamoto, haben die giftigen Gase schon Menschenleben gefordert.

Kalte Aprilwinde bewegten die Sakamotos zu einem baldigen Abstieg, vorbei an Kirishima-Azaleen, die sie begeisterten: „Sie sind so schön, als wären sie künstlich.“ Das Paar wanderte weiter zum Kirishima-Hauptschrein, der 1715 sieben Kilometer weiter unten am Berg neu aufgebaut wurde, und in dem Ninigi-no-Mikoto verehrt wird. Heute erinnert ein Schild im Manga-Stil an die berühmten Besucher. Nach einem Bad im Kirishima Onsen kehrten sie nach Kagoshima zurück.

Der Spitzname der Stadt ist „Neapel von Japan“, weil sie mit Sakurajima ihren eigenen Vesuv vor der Haustür hat, keine fünf Kilometer entfernt. Legte vor kurzem ein isländischer Vulkan den europäischen Flugverkehr lahm, wirbt die Präfekturhauptstadt mit dem Slogan: „Welcome to Kagoshima, the city where people and an active volcano live in harmony.“ Zwar müssen die 540.000 Bewohner der Stadt ab und zu ihre Wäsche im Haus trocknen, aber dafür wachsen dank der fruchtbaren Vulkanasche auf Sakurajima die größten Rettiche der Welt – mit bis zu 20 Kilo pro Stück!