Journalistin, Aufnahmeleiterin & Filmemacherin in Japan

Verschleppt im Namen der Kims

Die aktuelle Nordkorea-Krise rückt eine Rückkehr der japanischen Entführungsopfer wieder in weite Ferne. Das Schicksal vieler bleibt unklar.

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Megumi Yokota ist vielleicht die bekannteste 13-jährige Japanerin, die kaum jemand je zu Gesicht bekommen hat. Man kennt nur ihr Foto, das ihre Eltern mit sich tragen, wenn sie vor Fernsehkameras um die Rückgabe ihrer Tochter bitten. Das Mädchen wurde am 15. November 1977 aus einer Küstenstadt in der nordwestjapanischen Präfektur Niigata auf dem Heimweg von der Schule entführt – von nordkoreanischen Agenten. Sie war das dritte von insgesamt 17 bestätigten japanischen Opfern, die nach Nordkorea verschleppt worden sind. Deren Hauptaufgabe, so wird vermutet, ist es, Nordkoreaner zu Spionen auszubilden, die als Japaner durchgehen und sich unbemerkt beim Erzfeind Südkorea einschleusen können. Nicht nur auf Japaner hatten es Nordkoreas Spione abgesehen: Auch Bürger aus Südkorea, China, Rumänien, Thailand und dem Libanon wurden entführt.

Erst 2002 gab Kim Jong-il, der Vater des jetzigen „großen Führers“ Kim Jong-un, die Entführungen zu. Seither wurden fünf Betroffene und drei in Nordkorea geborene Familienangehörige wieder nach Japan gebracht. Was mit Megumi Yokota passiert ist, ist aber weiter unklar. Ihr Name steht stellvertretend für alle japanischen Entführungsopfer, ihr Schicksal wurde zum Thema mehrerer Dokumentationen und einer Manga-Serie. Shigeo Iizuka, dessen Schwester Yaeko Taguchi 1978 mit 22 Jahren verschleppt wurde, sagte der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo nach Nordkoreas jüngstem Atomtest am 13. Februar: „Ich mache mir Sorgen, dass die Lösung des Entführungsproblems nun womöglich noch weiter in die Ferne gerückt ist.“ Nordkorea behauptete einmal, die Frau sei kurz nach ihrer Heirat bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Bewiesen wurde das nie.

Für Angehörige wie Shigeo Iizuka bedeutet die sich rund um Nordkorea zuspitzende Krisenlage nun erst recht, dass die Chance, ihre Familienmitglieder wieder in die Arme zu schließen, schwindet. Schon der mittlerweile dritte nukleare Test im Februar 2013, auf den Japan und die Vereinten Nationen mit stärkeren Sanktionen gegenüber Nordkorea reagierten, war ein Rückschlag. Nach Jahren erfolgloser Verhandlungen zwischen Japan und Nordkorea setzte sich Kenji Fujimoto (Pseudonym), der ehemalige Sushi-Koch von Kim Jong-il, bei seinem Besuch in Nordkorea im August 2012 für die Entführten ein. Er las einen Brief vor, in dem er sich auf „den Fall von Megumi Yokota und den anderen“ bezog, aber das Wort „Entführung“ bewusst vermied. Junior-Diktator Kim Jong-un, der Fujimoto trotz seiner Flucht 2011 eingeladen hatte, habe den Brief zur Kenntnis genommen.

Ein Schritt vor, zwei zurück

Kurz danach trafen sich im Herbst 2012 nach vier Jahren Pause erstmals Regierungsvertreter zu zwei bilateralen Gesprächen. Für Anfang Dezember 2012 war ein weiteres Treffen in Peking geplant. Doch Japan sagte es
ab, weil Gerüchte von Nordkoreas angeblichem Satellitenabschuss aufkamen, den es als Raketentest interpretierte. Der japanische Außenminister Fumio Kishida sagte kürzlich: „Wir sollten darüber nachdenken, wie wir mit den Gesprächen, die unterbrochen bleiben, weiter vorgehen, nachdem wir die aktuellen Umstände, inklusive den letzten Atomtest, in Betracht gezogen haben.“

In Japan gibt es sogar einen eigenen Ministerposten für die Entführungsfälle, derzeit von Keiji Furuya besetzt. Anfang April gründete er ein neunköpfiges Experten-Komitee aus Universitätsprofessoren, Angehörigen der Opfer und Aktivisten, die die Familien unterstützen. Beim Eröffnungstreffen am 3. April nahm auch der japanische Premierminister Shinzo Abe teil: „Ich werde die Entführungsfrage zu meiner persönlichen Mission machen“, versprach er. Der zuständige Minister Furuya sprach sich dafür aus, dass Japan Nordkorea keine weitere humanitäre Hilfe mehr zukommen lassen soll, „bis es nicht alle Opfer zurückgegeben hat“.

Dabei hatte es beim ersten Gipfeltreffen zwischen Japan und Nordkorea im September 2002 durchaus berechtigten Anlass zur Hoffnung gegeben. Nach Jahren des Leugnens gab Kim Jong-il damals zu, dass japanische Bürger entführt worden waren – und entschuldigte sich dafür. Von den 13 Opfern, die er benannte, seien vier am Leben, acht tot und bei einer Person könne nicht bestätigt werden, dass sie je ihren Fuß auf nordkoreanischen Boden gesetzt habe. Der Diktator versprach, die Entführer zur Verantwortung zu ziehen, und dass dies nie wieder vorkäme.

Glück im Unglück

Er bestätigte außerdem die Entführung des zweitjüngsten Opfers, der damals 19-jährigen Hitomi Soga, die mit ihrer Mutter Miyoshi verschleppt worden war. Während sich die Spur der damals 46-jährigen Mutter verlor, heiratete Hitomi 1965 den zunächst freiwillig nach Nordkorea desertierten und später dort festgehaltenen Charles Robert Jenkins aus den USA, der ihr als ihr Englischlehrer vorgestellt worden war. Die junge Japanerin und der US-Amerikaner bekamen zwei Töchter.

Jenkins zählte in Nordkorea zu einem der bekanntesten ausländischen „Filmstars“, den Kinofan Kim Jong-il gerne als Bösewicht für seine Filme besetzte. Seine Frau hatte Glück im Unglück: Nach Aufforderung durch Japans Regierung unter dem damaligen Premierminister Junichiro Koizumi konnten nur einen Monat nach dem Gipfeltreffen am 15. Oktober 2002 fünf Opfer – die Ehepaare Yasushi und Fukie Chimura, Kaoru, Yukiko Hasuike, sowie eben Hitomi Soga – ihre Familien in Japan wieder in die Arme schließen. Sie verweigerten – wenig überraschend – die zehn Tage später angesetzte Rückkehr nach Nordkorea. Die drei in Nordkorea geborenen Kinder der Chimuras durften im Mai 2004 nachkommen.

Nach einer Reihe von Verhandlungen durften sich die Sogas 2004 auf neutralem Boden in Indonesien treffen. Sie nutzten es für die Flucht. „Sie haben mir alle möglichen Dinge versprochen, wenn ich mit meiner Frau zurückkäme“, sagte Jenkins im Interview mit dem „Time“-Magazin. „Sie würden mir ein neues Auto, ein neues Haus, neue Kleidung, einen neuen Fernseher geben. Sie sagten mir, alles wäre ein Geschenk von Kim Jong-il.“ Doch er wollte um jeden Preis verhindern, dass seine Töchter später zu Agentinnen ausgebildet würden. Jetzt leben sie wieder in Hitomis Heimat in Niigata, wo sie im Rathaus arbeitet. Ihr Mann, der eine kurze Gefängnisstrafe als Deserteur bekam, arbeitet in einem Souvenirladen.

Megumi Yokotas Schicksal bleibt derweil unklar. Erst hieß es, sie habe sich 1994 umgebracht, dann, sie sei 2004 an einer Krankheit gestorben. Als relativ gesichert gilt, dass sie in Nordkorea einen ebenfalls entführten
Südkoreaner heiratete, mit dem sie eine Tochter hatte. 2004 übergab das nordkoreanische Regime Asche an Japan, die angeblich von Yokota war. Doch DNA-Tests ergaben, dass es sich um die sterblichen Überreste gleich mehrerer Personen handelte. Später kamen Zweifel daran auf, ob die Tests in Japan vorschriftsmäßig durchgeführt wurden.

In jüngster Zeit kamen Gerüchte auf, wonach eine Schwester von Diktator Kim Jong-un Megumis Tochter unter ihre Fittiche genommen habe. Im Vorjahr veröffentlichten Shigeru und Sakie Yokota, mittlerweile beide um die 80, einen letzten Gruß an ihre Tochter, ein Buch mit dem Titel „Megumi e no Yuigon“ („Letzte Worte an Megumi“). Ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen werden sie aber nie aufgegeben.