Journalist, Line Producer & Filmmaker based in Japan
Zwei Yakuza, ein Foto von Felice Beato (1870) – Foto: CC
Zwei Yakuza, ein Foto von Felice Beato (1870) - Foto: CC

Die Gangster von Nebenan

Auf der Spur der Yakuza: Exklusive Einblicke in eine Parallelwelt.

„Als Kinder haben wir uns zum Haus einer Yakuza- Familie geschlichen, unser Herz klopfte bis zum Hals. Wir haben die Klingel gedrückt und sind dann weggerannt. Manchmal hat uns die Familie auch zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Es war wie ein Schloss mit einem Rolls Royce in der Garage …“ So erinnert sich ein 32-jähriger Japaner an seine Kindheit im südjapanischen Kyushu. Dort ist die japanische Mafia, Yakuza genannt, stark vertreten. Häufig spricht es sich in der Nachbarschaft herum, wo Yakuza wohnen. Auch die Polizei kennt ihren Aufenthaltsort. Ein Widerspruch?

Tageslicht-Gangster. Yakuza zu sein, ist in Japan nicht verboten, sich öffentlich als einer zu betätigen, schon. In dieser Grauzone führen die Yakuza offizielle Büros und betreiben oft Bau-, Immobilien- oder Abfallentsorgungsfirmen neben ihren kriminellen Kerngeschäften. „Gewalttätige Vereinigungen“, wie die japanischen Medien und die Polizei die Yakuza nennen, haben in Japan einen semi-legalen Status. Früher nahm man an, dass sie nur „Verbrechen ohne Opfer“ begingen wie Prostitution und Glücksspiel – beides ist in Japan illegal. Mittlerweile erkennt die japanische Öffentlichkeit immer mehr, dass dies nicht stimmt. Striktere Gesetze verbieten den Yakuza heute das Verteilen von Visitenkarten mit dem Namen ihres Clans, da dies bereits als Erpressungsversuch gilt. Immer wieder werden Bürokraten oder hochrangigen Politikern Mafiaverbindungen nachgesagt. Anders als noch vor 20 Jahren müssen sie heute zurücktreten wie im Oktober 2012 der Justizminister Keishu Tanaka. Dennoch gilt weiter: Mein Nachbar, der Gangster. Das ist in Japan nichts Ungewöhnliches.

Abwarten und Tee trinken. Fasziniert von ihrer alltäglichen Präsenz gelang es dem deutschen Regisseur Alexander Detig, nicht nur frühere, sondern auch noch aktive Yakuza vor die Kamera zu bekommen. Sechs Jahre lang reiste der 46-Jährige regelmäßig nach Japan und knüpfte Kontakte, bis er schließlich an die Oberhäupter mehrerer Clans herankam. Doch bis es so weit war, musste viel geredet, gegessen, Tee und Reiswein getrunken werden. Durch lange Gespräche und geduldiges Beobachten des Yakuza-Alltags – mit Ausnahme ihrer halbseidenen Geschäfte – bekam er einen fast privaten Einblick in eine Parallelwelt, die für Außenstehende sonst verschlossen bleibt. Die scheinbare Normalität und Freundlichkeit der Yakuza seien eine der größten Herausforderungen bei den Dreharbeiten gewesen: „Wir mussten uns immer wieder bewusst machen, dass wir gerade Gangstern über die Schulter schauen, die nicht vor Gewalt – wenn auch als Ultima Ratio – zurückschrecken“, so Detig. Unter den 127 Millionen Japanern sollen laut dem Journalisten und Mafiaexperten Jake Adelstein rund 80.000 Yakuza in etwa 3.200 Verbrechergangs organisiert sein, 1.400 davon gehörten zu den drei größten Gruppen: der Inagawa-kai, der Sumiyoshikai und der Yamaguchi-gumi. Zum Vergleich: Die US-amerikanische Mafia kommt heute auf gerade einmal 3.000 Angehörige. Die Mehrheit der Yakuza sind Männer; Frauen kommen höchstens über ihre Eltern oder Ehemänner zu aktiven Rollen. Pro Jahr erwirtschaften sie Summen von zweistelligen Milliardenbeträgen – vergleichbar mit global operierenden Megakonzernen wie Toyota. Als aktuelle Haupteinnahmequelle gilt das Drogengeschäft, gefolgt von Glücksspiel und Erpressung.

Realität und Verklärung. So wenig der Durchschnittsjapaner mit den Yakuza zu tun haben will, so besteht doch eine gewisse Faszination: Es gibt Yakuza-Fanmagazine, Mangas und sogar ein eigenes Filmgenre, Yakuza Eiga genannt. Das wirkliche Leben der Yakuza ist aber weniger romantisch, als es die Medien suggerieren. Es ist geprägt von strikten Regeln und Hierarchien, von Respekt und Gehorsam. Die Jüngeren müssen die Älteren bedienen und ihnen gegenüber stets loyal sein. Begeht ein Yakuza einen schweren Fehler, erwartet sein Clanchef (Oyabun) traditionell das Yubitsume-Ritual von ihm: das Abtrennen eines Gliedes des kleinen Fingers. Auch die Irezumi-Tätowierungen werden nicht mit elektrischen Nadeln, sondern Bambusspitzen ausgeführt, über die die Farbe unter die Haut getrieben wird. Beliebt sind Figuren aus der Götter- und Fabelwelt, denen besondere Fähigkeiten zugeschrieben werden. Wer die äußerst schmerzhafte Prozedur übersteht, beweist Stärke und Hingabe zu seinem Yakuza-Clan.

Gewissen reinwaschen. Yakuza sehen sich als Bewahrer urjapanischer Traditionen, als Nachfahren der Samurai – unter Experten ist dies aber umstritten. Vielmehr wird vermutet, dass sie sich aus diskriminierten Unterschichten wie den fahrenden Händlern und Glücksspielern in der Edo-Zeit (1603–1868) entwickelten. Gut ein Drittel gehört noch heute zu einer diskriminierten Gruppe von Japanern, die als unrein angesehene, mit Blut und Tod assoziierte Berufe ausüben. So stammt auch der Name „Yakuza“ vom schlechtesten Blatt eines Kartenspiels: Wer Karten mit den Werten ya (acht), ku (neun), sa (drei) ausgeteilt bekommt, erhält null Punkte – ein Blatt, so wenig wert wie die Gesellschaftsschichten, aus denen sich Japans Mafia entwickelte. Sich selbst bezeichnen die Yakuza lieber als „ritterliche Vereinigung“ à la Robin Hood. Getreu diesem Selbstverständnis zeigen sie sich gerne als Wohltäter. Nach dem Kobe-Erdbeben 1995 waren sie zum Beispiel die Ersten, die Suppenküchen aufbauten, deutlich vor der Regierung. Auch beim Tsunami im März 2011 waren sie schnell zur Stelle. Regisseur Alexander Detig sieht darin den Versuch, ihr schlechtes Gewissen reinzuwaschen: „Sie versuchen in ihrer ,Nische‘ ehrenhaft zu sein und zu handeln.“ Ihre Hilfe war allerdings nicht uneigennützig, sie hofften auf Bauaufträge im Katastrophengebiet.

Mafia mit Zukunftsangst. In der heutigen Gesellschaft plagen Japans Mafiaclans Nachwuchssorgen. Die strikten Regeln schrecken viele ab. Zudem schaffen es Menschen, die auf dem sozialen Abstellgleis gelandet sind, im sich öffnenden Japan leichter als früher wieder in die Gesellschaft zurück. Ihnen stehen andere Wege als der zu den Yakuza offen. Yakuza sind heute weniger sichtbar, viele Badeanstalten verbieten Tätowierten den Zutritt. Und um die Yakuza-Zugehörigkeit im Alltag zu verbergen, werden die Motive so gestochen, dass sie unter Anzügen und traditioneller Kleidung nicht hervorschauen. Die Irezumi-Tätowierungen und das Yubitsume-Ritual des Fingerabtrennens verlören heute an Bedeutung, meint Filmemacher Detig. Der Grund: Sie fielen zu sehr auf. Manche Yakuza lassen sich die Tätowierungen sogar weglasern. Beim jährlichen Sanja-Matsuri jedoch, einem großen religiösen Fest, führen die Yakuza ihre Tätowierungen stolz vor. Eben dieser Widerspruch ist charakteristisch für die japanische Gesellschaft. Dass strengere Gesetze und verstärkte Polizeieinsätze gegen die Chamäleons unter den Gangstern zu ihrem baldigen Ende führen werden, bezweifeln Beobachter der Szene. Jeff Kingston, Historiker an der Tokioter Temple Universität, zitiert einen Ex-Yakuza: „Sie sind die ultimativen Unternehmer, die sich ständig neu erfinden und ihre Kernkompetenzen der Einschüchterung und Gewalt an neue Nischen anpassen.“