日本在住ジャーナリスト、撮影コーディネーター、ドキュメンタリー映画監督

Sind Japaner zu träge geworden für die Politik?

In Japan glauben viele junge Leute nicht mehr an die Politik. Dennoch wählen sie ausgerechnet konservativ.

Die Liberaldemokraten in Japan sind nicht zu schlagen. Zwar mussten sie eben erst ihren Parteichef und Ministerpräsidenten Yoshihide Suga auswechseln, da dieser die Corona-Pandemie schlecht bewältigt hatte. Doch niemand bezweifelt, dass die Partei im Herbst die Wahlen wieder gewinnt. Seit ihrer Gründung 1955 ist die LDP mit zwei kurzen Unterbrüchen die stärkste Partei in Japan. Dabei ist sie überhaupt nicht beliebt.

Die Politikverdrossenheit im Land ist gross, die Wahlbeteiligung niedrig. Viele Japaner fühlen sich von der Politik nicht repräsentiert – vor allem junge Leute. „Mit meinen Freunden rede ich über alles, nur nicht über Politik“, sagt etwa der 22-jährige Aruku Kusano, der in Tsukuba Angewandte Linguistik studiert. Umso erstaunlicher ist, dass die meisten trotzdem immer wieder ihren Stimmzettel für die LDP in die Urne legen, junge Leute sogar besonders häufig.

Laut Kusano sind viele seiner Altersgenossen schlicht zu träge, um sich über andere Optionen zu informieren. Die Opposition empfänden viele als noch schlechtere Alternative, vor allem seit dem Debakel der Demokratischen Partei in der Regierung zwischen 2009 und 2012. Jene Zeit war geprägt von jährlich wechselnden Ministerpräsidenten, Skandalen, dem Tsunami und der Atomkatastrophe 2011.

Hinzu kommt, dass viele Junge bis zur Heirat bei den Eltern leben, abhängig, aber behütet. Sie sind risikoscheu und glauben, dass die derzeitige gute Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Zuversicht an der Börse tatsächlich der LDP zu verdanken seien. Viele Japaner wünschen sich zudem zurück in die achtziger Jahre, als das Land unter der LDP zu einer wirtschaftlichen Supermacht aufstieg. Gerade bei jungen Menschen, die ihr Land nur geprägt von Deflation und Niedergang erlebt haben, wecken jene Jahre die Sehnsucht nach einem vergangenen goldenen Zeitalter, in dem alles sicher schien und konservative Werte vorherrschten.

Regierungskritiker bemängeln schon lange, dass Japan keine Demokratie, sondern ein Einparteistaat sei. Allein aus strukturellen Gründen ist ein erneuter LDP-Sieg auch dieses Mal geradezu aufgegleist. So kommt etwa das Mehrheitswahlsystem der LDP zugute, die lokal im ganzen Land über starke, jahrzehntelang gewachsene politische Strukturen verfügt. Davon kann die Opposition angesichts ständiger Auflösungen und Parteineugründungen nur träumen.

Dass die LDP an der Macht bleiben kann, ist auch den japanischen Medien zu verdanken. Morgens, mittags, abends, nachts – auf allen Fernsehkanälen ging es wochenlang um nichts anderes mehr als die LDP-interne Wahl, um Sugas Nachfolge. „Die Japaner glauben das, was ihnen das Fernsehen erzählt – und dort wird der Eindruck erweckt, dass die LDP gewinnt“, sagt Azumi Matsumoto, Hausfrau und Mutter dreier Kinder in Tokio. „Wir werden einer Gehirnwäsche unterzogen.“ Die 52-Jährige zählt zu den wenigen, die die Konstitutionell-Demokratische Partei, die grösste Oppositionspartei, unterstützen.

„Die LDP hat die Titelseiten der Tageszeitungen gekapert“, sagt auch der Politikwissenschafter Koichi Nakano. „Ich kenne keine andere Demokratie, in der so etwas passiert.“ LDP-Kandidaten würden jeweils menschlich präsentiert – die eine spielt in einer Band, der andere liebt die stinkende Frucht Durian. Bei der Opposition dagegen kritisierten japanische Medien einen Mangel an politischen Inhalten.

Dass sich die Medien so einspannen lassen, hängt mit dem sogenannten japanischen Presseclub-System zusammen: Jede Partei, jede grössere Institution, jedes grössere Unternehmen beherbergt – häufig sogar im selben Gebäude – Journalisten, die dort direkt mit Informationen gefüttert werden. In der Folge berichten diese nicht mehr kritisch. Wer sich dennoch erlaubt, kritisch zu sein, muss mit Konsequenzen wie dem eingeschränkten Zugang zu Informationen oder sogar mit dem Verlust der Stelle rechnen.

Hiroko Kuniya, Moderatorin des Politikmagazins „Close-up Gendai“ im staatlichen Fernsehsender NHK, musste nach 23 Jahren gehen, weil ihre Fragen dem damaligen Regierungssprecher Suga zu weit gingen. Eine Rolle spielt auch die Abhängigkeit der Medien von den Werbegeldern der Unternehmen, die ihrerseits häufig eng mit der wirtschaftsnahen LDP verbunden sind. Dies zeigte sich etwa nach der Atomkatastrophe von Fukushima, als auffällig wenig über die radioaktive Strahlung berichtet wurde. Grund war der Druck der Energieversorger auf die Medien.

Doch selbst für Bürger ist es nicht einfach, ihre politische Meinung kundzutun. Zu gross ist die Angst, unangenehm aufzufallen und aus den eigenen Zirkeln ausgeschlossen zu werden. Das erklärt, warum anonyme Twitter-Konten in Japan so beliebt sind. Würden etwa Studierende unter ihrem Namen posten, müssten sie befürchten, keinen Job zu bekommen, erklärt Isoko Mochizuki, Journalistin der „Tokyo Shimbun“, die als eines der wenigen kritischen Presseorgane Japans gilt.

Mochizuki wurde vergangenes Jahr unter einem Vorwand von den Pressebriefings der Regierung ausgeschlossen. „Es gibt immer mehr junge Menschen, die keine grossen Träume haben“, beklagt sie. Weder für sich noch für Japan – was sich darin zeige, dass sie die Konservativen wählten, sagt Mochizuki.