G-20-Gipfel in Osaka:
Thema Migration in der Abschlusserklärung
Eine Ruheinsel mit einer Handvoll Hängematten und Kissen auf Kunstgras zwischen langen Tischreihen war am Schlusstag des Gipfels der großen Wirtschaftsnationen (G20) im Pressezentrum in Osaka gut frequentiert. Ob die Unterhändler der Staats- und Regierungschefs auch eine solche Möglichkeit hatten, ist unklar – gebraucht hätten sie sie sicher. Bis 5.30 Uhr morgens sollen sie zäh um einen Kompromiss gerungen haben, zunächst erfolglos. Ihre Aufgabe: bis Samstagmittag aus etwas, was einem Lückentext geglichen haben soll, ein gemeinsames Kommuniqué zu erstellen.
Als „arbeitsreich“ beschrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel die zwei Tage in Japan, die sie wie geplant absolviert haben soll. Kurz vor ihrer Abreise hatte ein Zitteranfall der Politikerin für Schlagzeilen gesorgt. Die
Frage über ihren Gesundheitszustand kam auch am Gipfel immer wieder auf. „Ich verstehe Ihre Frage. Mir geht es gut“, sagte Merkel knapp auf Nachfrage. „So, wie die Reaktion gekommen ist, wird sie auch wieder vergehen.“
Lieber sprach sie über das Ergebnis der Verhandlungen, das so am Vorabend kaum jemand noch für möglich gehalten hätte. Man sah schon das Schreckgespenst auftauchen, dass der G-20-Gipfel zum ersten Mal seit Gründung des Formats nach der globalen Finanzkrise vor gut zehn Jahren ergebnislos enden könnte.
Doch am Ende konnten nicht nur das Gastgeberland Japan, sondern auch die Teilnehmer den Gipfel als Erfolg verbuchen – auch wenn man sich bei manchen Problemen schlicht etwas Luft zum Atmen gekauft hatte, etwa im Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China. Finale Entscheidungen über den Inhalt der Abschlusserklärung fielen erst im Laufe des Vormittags des zweiten Gipfeltags. „Bis zur letzten Minute wurde verhandelt“, bestätigte Merkel, „täglich und nächtlich“, und lächelte. Das Resultat sieht zum Beispiel beim besonders hart umkämpften Thema Klimaschutz wie eine Neuauflage von Buenos Aires im Vorjahr aus. Dies ist insofern schon ein Erfolg, als die USA zunächst darauf bestanden hatten, diesen im Kommuniqué nicht zu erwähnen. Doch die Europäer hatten dies im Vorfeld bereits als „rote Linie“ bezeichnet und gaben nicht nach.
„Ich denke, dass wir eine starke Erklärung zum Klimawandel brauchen“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Freitag. Insofern bekennen sich die G-20-Länder nun erneut zur „uneingeschränkten Umsetzung“ des Pariser Klimaabkommens. Der Vertrag sei „unumkehrbar“. Damals wurde beschlossen, den Anstieg der weltweiten Temperatur auf maximal zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken. Entwicklungsländern wolle man bei der Umsetzung finanziell unter die Arme greifen, sagte Merkel.
„Hegemoniestreben führt nirgendwohin.“
Wie bereits in Argentinien, blieben die USA beim Klimaschutz bewusst außen vor. Auf eine Reporterfrage, warum er den Klimawandel ignoriere, sagte der amerikanische Präsident Donald Trump während seiner eineinhalbstündigen Abschlusspressekonferenz, dass er das nicht tue. „Aber ich will nicht unsere Unternehmen zugrunde richten“, sagte er. „Ich bin nicht bereit, etwas zu opfern, was wir über eine lange Zeit aufgebaut haben.“
Der französische Präsident Emmanuel Macron hingegen sagte, dass sich Frankreich klar zum Klimaschutz bekenne. Er beklagte, dass „wir immer stärker die Verbindung zum Rest der Welt verlieren“. Während Wissenschaftler vor den Folgen des Klimawandels warnten, diskutiere man immer noch über das Paris-Abkommen. Auch beim zweiten großen Thema – Handel – einigten sich die G-20-Länder auf grundlegende Prinzipien wie freien und fairen Handel sowie offene Märkte. Eine Abkehr vom Protektionismus, wie ihn die USA unter Präsident Trump verfolgen, wurde nicht verankert, auch wenn sich mehrere Teilnehmer deutlich für entsprechende multilaterale Abkommen
aussprachen, darunter Frankreich und China.
„Der Multilateralismus wird von einigen von uns attackiert“, sagte Macron mit einem Seitenhieb auf Trump. „Hegemoniestreben führt nirgendwohin. Wir brauchen einen starken effizienten Multilateralismus.“ Auch Chinas Xi
sprach sich in Anspielung auf die USA gegen „Bullying“ aus. Einig waren sich die G-20-Staaten darüber, die Welthandelsorganisation (WTO) zu reformieren.
Überraschend fand das Thema Migration ins Kommuniqué – erneut gegen Amerikas Wunsch. Trump spricht seit Jahren davon, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zu bauen, um Migranten aus Mittel- und Südamerika den Zugang zu verwehren. Die Aufnahme des Themas bedeute, dass Migration als Problem anerkannt werde, erklärte Merkel. „Wir sind ein ganzes Stück weitergekommen“, sagte sie abschließend. Das bilaterale Treffen von US-Präsident Trump mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am Samstagmorgen stahl dem G-20-Gipfel einen Teil der Show.
Zuletzt hatte sich ein Handelsstreit zwischen den beiden Wirtschaftsriesen aufgeschaukelt, vor sechs Wochen brachen die Verhandlungen ab. Die Drohung, Strafzölle für chinesische Waren von 10 auf 25 Prozent weiter auszudehnen, stand im Raum. „Wer sind wir für Sie – Feinde?“, fragte eine chinesische Reporterin Trump. „Wir werden strategische Partner sein“, sagte dieser. „Wenn der richtige Deal abgeschlossen wird, können wir großartig füreinander sein.“ Weiter sagte er: „Wir sind offen für China, aber China nicht für die USA.“
Xi seinerseits gab sich dialogbereit. „China und die USA profitieren beide von Kooperation und verlieren bei einer Konfrontation“, sagte der 66-Jährige. Beide Parteien wollen sich nun wieder an den Tisch setzen – und die Weltwirtschaft kann zumindest temporär aufatmen.
Über die Blockade gegen den chinesischen Telekomhersteller Huawei wolle er mit Xi in den kommenden Tagen sprechen, sagte Trump auf Nachfrage. Derweil habe er zugestimmt, dass der Verkauf von deren Produkten weiter erlaubt wird. Vage blieb Trump beim Verhältnis zum Iran. „Was passiert, wenn die Werte bei Anreicherung von Uran überschritten werden?“, fragte eine Reporterin. „Das werden Sie dann sehen“, sagte er kurz. Man dürfe nicht zulassen, dass der Iran die Fähigkeit besitze, Kernwaffen herzustellen.
Deutlich zugewandter gab sich Trump gegenüber Nordkorea, das ebenfalls nukleare Ambitionen hat. Anlässlich seines Südkorea-Besuchs am Sonntag lud er gar den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un zum Treffen an der innerkoreanischen Grenze ein – per Twitter –, um „Hallo“ zu sagen. Die Nordkoreaner haben vorerst Wohlwollen signalisiert.
Für Gesprächsstoff sorgte, dass beim G-20-Gruppenbild der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman als Gastgeber des G20 im kommenden Jahr sehr prominent platziert wurde. Er ist seit der ungeklärten Ermordung des Regierungskritikers Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in der Türkei höchst umstritten. Laut einem UN-Bericht ist es möglich, dass Salman davon wusste oder sogar beteiligt war. Trump sprach dies beim gemeinsamen Frühstück nicht an und lobte Saudi-Arabien als „großartigen Verbündeten“.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nahm hingegen kein Blatt vor den Mund: „Man darf mit Mord nicht davonkommen! … Der saudische Kronprinz muss den Mord an Khashoggi aufdecken. Es hat keinen
Sinn, nach Tätern anderswo zu suchen.“ Ausgerechnet Erdogan appellierte an die Journalisten, ihrer Verantwortung nachzukommen und nachzuhaken. „Dollars können den Stift nicht kaufen“, sagte er, und deutete an den Kopf. Unter Erdogan ist die Pressefreiheit deutlich zurückgegangen, Journalisten wurden inhaftiert.