日本在住ジャーナリスト、撮影コーディネーター、ドキュメンタリー映画監督
Im zweiten Anlauf verwirklichte Margaret Lyons ihren Traum vom Leben im Outback © Sonja Blaschke
Im zweiten Anlauf verwirklichte Margaret Lyons ihren Traum vom Leben im Outback © Sonja Blaschke

Allein unter Brennern – Die wohl abgelegenste Destillerie der Welt

Margaret Lyons ist eine von nur einer Handvoll Frauen, die in Australien Hochprozentiges destillieren. Die frühere Milchbäuerin erfüllte sich im zweiten Anlauf den Traum vom Leben im Outback und heimst nun international Preise für ihren Rum ein.

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Für Reisende durch den abgelegenen Nordwesten Australiens ist Kununurra ein echtes Highlight. Nach Hunderten von Kilometern durchs menschenleere Nichts, vorbei an endlosen Ebenen mit trockengelbem Spinifex-Gras und blassgrünen Eukalyptus-Bäumen auf rotem Sand, erscheint die Kleinstadt mit 4 500 Einwohnern – eine der größten der Region – wie eine Oase. Nicht nur, dass es dort Infrastruktur wie Geschäfte und Lokale gibt. Auch das ungewohnte Grün trotz Trockenzeit erfreut das Auge. „Ich bin auf einem ausgedehnten Arbeitsurlaub, wie viele hier“, sagt die Australierin Margaret Lyons.

Die 60-Jährige spielt damit auf junge ausländische Rucksacktouristen an, die mit einem Working-Holiday-Visum auf Farmen und in der Gastronomie arbeiten. Lyons wollte eigentlich nur kurz auf das Haus von Freunden in Kununurra aufpassen. Das ist über zehn Jahre her. „Nur komme ich vor lauter Arbeit nicht zum Urlaub“, sagt sie und lacht herzhaft. „Und wenn ich während der Regenzeit, wenn keine Touristen da sind, frei habe, ist alles geschlossen.“

Lyons Arbeitsplatz ist ein beliebtes Ausflugsziel wenige Kilometer außerhalb von Kununurra: die Rum-Brennerei „Hoochery“. Pro Jahr nehmen 20 000 Besucher dort an Führungen teil, gekrönt von einer Kostprobe. Eine Angestellte bittet ein Dutzend wartender Touristen um Geduld: „Einen kleinen Moment noch, der ‚Head Distiller‘ kommt gleich.“ Damit meint sie Margaret Lyons. Diese ist seit fünf Jahren die Brennmeisterin der „Hoochery“. Sie stellt neben Likören, Aguardiente und Kornschnaps vor allem „Ord River Rum“ her, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, der für das Grün in Kununurra sorgt. Mit Charme und Witz führt sie – in kurzen Hosen, Polohemd und Wanderschuhen – Touristen durch die kleine Rum-Destillerie.

Die Alkoholproduktion ist in Australien, wie in den meisten Ländern, fest in Männerhand. Bei der „Hoochery“ übernimmt der Besitzer der Destillerie, Raymond „Spike“ Dessert III., nach außen hin die Vertretung, dient als offizielles Aushängeschild. Die Produktion liegt jedoch in den Händen der Brennmeisterin Lyons. Sie ist damit eine von nur einer guten Handvoll Frauen in ganz Australien, die hauptberuflich Hochprozentiges destillieren. Wie Lyons brennt Genise Hollingworth Rum, aber am anderen Ende des Kontinentes, im südöstlichen Bundesstaat New South Wales bei der „Black Gate Distillery“. In South Australia stellt Sarah Lark bei „Kangaroo Island Spirits“ auf der gleichnamigen Touristeninsel vor der Stadt Adelaide Gin und Wodka her. Holly Klintworth von der „Bass & Flinders Distillery“ und Mel Davies von „Loch Brewery & Distillery“ setzen ebenfalls auf Gin. Davies braut außerdem Bier. Im südlichsten australischen Bundesstaat Tasmanien ist die „Lark Distillery“ von Brennmeisterin Lyn Lark eine Institution für Gin-Liebhaber.

Preisgekrönt

Außer Touristen und „Road Trains“, wuchtigen Lastwägen mit bis zu vier Anhängern, befährt kaum jemand die wenigen Verbindungsstraßen im abgelegenen Nordwesten Australiens. Von Kununurra sind es über 3 000 Kilometer mit dem Auto nach Perth, zur Hauptstadt des Bundesstaates Western Australia. Nach Darwin, der Hauptstadt vom Nachbarstaat Northern Territory, sind es 800 Kilometer. Durch die isolierte Lage sind Eigeninitiative und Kreativität gefragt. Alles kommt ein wenig improvisiert daher. „Das ist mein Büro“, sagt Lyons und zeigt auf einen weißen Baucontainer. Dieser passt gerade unter das breite Vordach des mit Krimskrams vollgestopften ausgebauten Schuppens, in dem die „Hoochery“-Brennerei samt Lokal untergebracht ist. Zwischen Styropor-Boxen mit bereits etikettierten Flaschen steht die Abfüllanlage. Auf einer Anrichte hat Lyons Industriewachs erhitzt, um damit den Flaschenkopf zu versiegeln. Alles Handarbeit – über 12 000 Flaschen pro Jahr. Vor ihrem Container-Büro steht ein großer Kunststofftank mit Zuckerrohrschnaps. Dieser wird gerade umgefüllt. Als Trichter dient eine zugeschnittene 1,5-Liter-Plastikflasche.

Was wie ein Hobby-Betrieb daherkommt, ist in der Tat eine der meistdekorierten Rum-Brennereien Australiens. 2015 stach der „Ord River Rum“ bei der International Spirits Challenge in London über 70 Konkurrenten aus. Zuvor hatte „Hoochery“-Rum bei Branchenwettbewerben in Hongkong Silber, in Melbourne ebenfalls Gold bekommen. Bei der World Spirits Competition 2016 in San Francisco, einer der wichtigsten Wettbewerbe der Branche, gewann der zehn Jahre gelagerte „Spike’s Reserve“ Doppel-Gold. Angesichts solcher Erfolge seien viele Besucher überrascht, wenn sie hörten, dass sie ihren Beruf ohne eine formelle Ausbildung ausübe, sagt Lyons. Das überrasche die meisten Besucher mehr als eine Frau als „Head Distiller“. Lyons fing vor über neun Jahren als Kellnerin an, stand hinter dem Tresen und scherzte mit Touristen. Der frühere Brennmeister habe manchmal gesagt: „Ich muss mal schnell den Rasen mähen, pass‘ doch mal auf dies und das auf.“ So wurde sie mit der Anlage vertraut.

In der "Hoochery" im Outback wird international Preisgekröntes destilliert © Sonja Blaschke
In der „Hoochery“ im Outback wird international Preisgekröntes destilliert © Sonja Blaschke

Alles selbstgebaut

Einschlägige Vorkenntnisse anderer Anlagen würden laut „Hoochery“-Gründer Dessert ohnehin nicht viel bringen. Denn die Art und Weise, wie dort Rum gebrannt wird, dürfte ziemlich einzigartig sein. „Die Anlage haben wir selbst gebaut, Kupfer verschweißt und in Form gehämmert“, sagt Dessert sichtlich stolz. Die Vorlage dafür fand Dessert, lang bevor Kununurra Internetanschluss bekam, in der Bibliothek. Er habe die Anlage mit Kopien aus ausgeliehenen Büchern nach jahrhundertealten amerikanischen Anlagen modelliert, wie sie etwa im 18., 19. Jahrhundert entwickelt und später während des Alkoholverbots in der Prohibition in den USA von illegalen Alkoholbrennern verwendet wurden, die sich dafür in abgelegene Bergregionen zurückzogen. In Desserts Büro, vollgestopft mit Büchern und vollgestellt mit Rum-Flaschen auch anderer Anbieter, steht noch das erste Modell aus Karton und Papier.

Dessert ist gebürtiger Amerikaner und im Hauptberuf Saatgutfarmer. Er zog vor über 40 Jahren aus den USA in den australischen Bundesstaat Western Australia, angelockt von den für sein Geschäft dort idealen klimatischen Bedingungen. Mit der Alkoholproduktion wollte Dessert schlicht sein Geschäft diversifizieren und selbst hergestellte Produkte wie Zuckerrohr weiterverarbeiten. Rum wird aus der Melasse des Zuckerrohrs gewonnen, ein Nebenprodukt der Zuckerproduktion. Aus verschiedenen Gründen greift die Brennereiinzwischen auf einen externen Melasse-Lieferanten zurück. Aber zum Beispiel im hauseigenen Aguardiente sind selbst hergestellte Anissamen.

Auch bei den Fässern, die er von den Weinbauern aus Südaustralien bezieht, konnte Dessert nicht auf eine Standardlösung zurückgreifen. Er wusste, dass viele Weinhersteller der Regel folgen, ein Fass nie austrocknen zu lassen. Doch erste Versuche mit dieser Technik in Kununurra schlugen schnell fehl. „Bei unseren Temperaturen hier mit bis zu 40 Grad wurden die Fässer wegen des Zuckers, der noch im Holz war, schnell schlecht. Also haben wir sie schließlich ganz austrocknen lassen, bis sie fast auseinanderfielen.“ Mit Wasser und Dampf von der Brennerei sei es möglich, die Fässer wieder einsatzfähig zu machen. „Wir mussten also unsere eigenen Böttcher, unsere eigenen Brenner werden. Wir mussten alles selbst tun, weil wir hier so isoliert sind.“

Entsprechend neugierig sind Besucher mit einschlägigen Kenntnissen auf die Anlage, die völlig unscheinbar daherkommt. Lyons erinnert sich, dass sie einmal bei einer Tour von deutschen Besuchern mit technischen Fragen geradezu gelöchert wurde. Diese seien noch bis zum Filter der Maschinen ins Detail gegangen. „Sie brennen offenbar auch“, konfrontierte sie die Fragenden. Es stellte sich heraus, dass ein Professor einer deutschen Fachuniversität für Brau- und Brennmeister mit Kollegen unterwegs war. „Und, wie habe ich mich in der Prüfung gemacht?“, habe sie ihn gefragt. „98,5 Prozent aller Punkte“, habe der Professor geantwortet. „Sie wissen, was Sie tun.“ Das habe sie sehr stolz gemacht.

Im zweiten Anlauf

Brennmeisterin Margaret Lyons hatte früher überhaupt keinen Bezug zur Alkoholproduktion. Sie stammt aus dem rund 4 000 Kilometer entfernten Bundesstaat Victoria, wo ihre Eltern eine Rinderfarm betrieben. Schon als Kind liebte sie den Umgang mit Tieren, wollte Tierärztin werden. Doch stattdessen heiratete sie jung, kaufte mit ihrem Mann einen Milchbauernhof in der Nähe der Großstadt Melbourne und bekam vier Kinder. Als diese erwachsen waren, ließen sie sich scheiden. Mit Mitte 40 bekam Lyons eine zweite Chance darauf, ihren Kindheitstraum zu verwirklichen: Sie wollte unbedingt auf einer Rinderfarm im australischen Hinterland, dem Outback, arbeiten. „Mensch, Mama, hör‘ endlich auf, nur darüber zu reden, geh‘ einfach!“, habe ihr Nachwuchs sie ermuntert. „Also brach ich nach Norden auf, zu meinem Abenteuer.” Drei, vier Jahre lang habe sie auf mehreren Stations – so nennt man Rinderfarmen im Outback – gearbeitet.

Die meisten Station-Mitarbeiter – Frauen wie Männer – helfen beim Zusammentreiben der Tiere für den Transport, per Pferd, Motorrad, Auto oder gar Helikopter. Lyons selbst bekochte lieber die Belegschaft und pflegte den Garten. Sie findet viele Parallelen bei ihrer Arbeit als Köchin und als Brennmeisterin. Beides habe mit Geschmack und Geruch zu tun. „Ich bin nicht weit gekommen“, witzelt sie. „Ich bin immer noch in der Küche.“ Sie stemmt die Produktion meist alleine, gelegentlich mithilfe eines Assistenten. Zwar könne sie selbst fermentieren und destillieren, aber die Fässer seien doch recht schwer und sie sei „vertikal herausgefordert“, wie sie ihr kleines Körpermaß kokett auf die Schippe nimmt.

Dessert, der einer der Mitbegründer des Verbands Australian Distillers Association ist, habe ständig neue Ideen, sagt Lyons. Sie müsse sich beeilen, mit dem 72-Jährigen mitzuhalten. Dessert plant bereits die Erweiterung der Brennerei. Dazu gehört auch die Aufteilung der Aufgabenbereiche in Brennen und Abfüllen und die Einstellung weiterer Mitarbeiter. Derzeit ist alles in der Hand der Familie. Das Hauptgeschäft führen inzwischen Desserts Töchter in verschiedenen Aufgaben. Alle müssen testen Rumbrennen sei Teamarbeit, betont Lyons. Rum, der nun sieben, acht Jahre alt sei, sei noch von ihrem Vorgänger destilliert und eingelagert worden. Sie habe diese Fässer übernommen – teils wird während der Lagerung Alkohol zugegeben, weil ein Teil im Laufe der Jahre verdunstet – den Rum abgefüllt und auf den Markt gebracht.

Beim Geschmack des „Ord River Rum“ sei keineswegs nur ihr Urteil oder das von Dessert entscheidend. Alle müssen sich einbringen, auch eine Tochter Desserts, die eigentlich keinen Alkohol trinkt. Jeder bekommt einen Zettel mit Bewertungseinheiten und muss den besten Rum küren. Neid sei nicht nötig, sagt Lyons den Gästen auf der Führung. „Das macht keinen Spaß, wenn Sie morgens um acht Uhr mit dem Testen anfangen müssen.“ Mehr als zwei, drei Fässer Rum pro Tag zu testen schaffe man gar nicht. Der ganze Prozess dauere drei Wochen. Meist kristallisiere sich ein Fass bei allen als Favorit heraus, von dem direkt in die Flasche abgefüllt wird. Der Rest werde per Blending veredelt. Wer glaubt, dafür müsse man viel Alkohol trinken oder vertragen, irrt. „Ich trinke nicht viel“, sagt Lyons. Und fügt dann lachend an: „Aber ich atme viel ein.“

Ihre gute Nase hat Lyons viele Erfolge eingebracht. „Ich habe einfach Spaß daran, ein tolles Produkt herzustellen“, sagt sie und strahlt, während sie die Luft im Lagerraum der Rum-Fässer mit Genuss einsaugt. Nach einem noch unverwirklichten Traum in ihrem Beruf befragt, liegt ihr wie häufig zuerst ein Scherz auf den Lippen. „Ich will im Lotto gewinnen und mich dann zur Ruhe setzen“, platzt es aus ihr heraus. Je älter sie werde, desto mehr spüre sie, dass sie näher bei ihren Kindern und Enkeln sein wolle, schiebt sie etwas ernster nach. Diese wohnen fast 4 000 Kilometer mit dem Auto entfernt. Umgekehrt scheint sie sich das Leben mit den Enkeln auf dem Schoß auch noch nicht ganz vorstellen zu können – wie ihre Ziele zeigen: „Bei jedem Wettbewerb, an dem wir unseren Rum einreichen, die Goldmedaille zu gewinnen. Das wäre schon was“, sagt sie und bricht wieder in ihr ansteckendes Gelächter aus.

hoochery.com.au