Das romantische Nagasaki
Für Bürgermeister Tomihisa Taue ist Nagasaki „eine romantische Stadt“, wie er im Interview bekräftigte. Als die in Nagasaki gebürtige Opernsängerin Satomi Hara das wiederum hörte, musste sie laut lachen. „Der Bürgermeister ist ein Romantiker!“, rief sie. Und doch hat die Stadt im Westen von Kyushu hie und da einen gewissen Charme, der anderen Städten fehlt. Vielleicht liegt es an ihrer Lage auf vielen Hügeln, vielleicht an relativ viel Grün im Stadtbild, vielleicht an dem großen Hafen, der für einmal nah am Stadtzentrum ist. Er liebe es, sagte Taue, bei Nacht von einem der umliegenden Berge auf die Stadt zu blicken. Vor drei Jahren wurde Nagasaki für die schönste Abendansicht weltweit ausgezeichnet, zusammen mit Hongkong und Monaco.
Trotzdem, „romantisch“ ist nun nicht gerade das Adjektiv, das einem sofort zu Nagasaki einfällt. Stattdessen denkt wohl jeder zuerst an den schlimmsten Tag in der Geschichte der Stadt vor bald 70 Jahren. Damals warf der amerikanische B-29-Bomber „Bockscar“ seine tödliche Fracht über der Stadt ab. Die „Fat Man“ getaufte Atombombe explodierte 1.500 Meter über dem Talkessel von Nagasaki. Über 74.000 Menschen starben bis Ende 1945, über ein Drittel der Stadt war völlig zerstört. So standen auf meinem Rechercheplan in der zweiten Junihälfte natürlich auch Interviews mit „Hibakusha“, mit Überlebenden der Atombombe. Es gibt noch rund 183.000 Menschen in Japan, die offiziell als Hibakusha anerkannt sind. Ihre Zahl schwindet immer schneller.
Außerdem besuchte ich den Peace Park mit der Friedensstatue. Kurios war zu sehen, wie viele viele chinesische Touristen dort waren, die sichtlich Spaß daran hatten, sich vor die Statue zu stellen und ihre Pose für ein Erinnerungsfoto zu imitieren. Daneben waren einige japanische Schulklassen unterwegs, die Orte wie Nagasaki und Hiroshima im Rahmen ihrer „Friedenserziehung“ besuchen.
Kurzfristig hatte ich das Glück, in Nagasaki zwei frühere Interviewpartner wiederzusehen, einen buddhistischen Priester und einen katholischen Pfarrer. Beide gehen auf die 80 zu. Mit ihnen hatten Regisseur Uri Schneider, Kameramann Shalom Rufeisen und ich im Herbst 2011 gedreht. In der 28-minütigen TV-Reportage „Reise durch ein verstörtes Land“, die im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt wurde, geht es vor allem um die Einstellung von religiösen Menschen und Religionsvertreterrn zur Atomkraft. Es ist ein spannendes Thema und die Dreharbeiten waren zwar anstrengend, aber haben auch viel Spaß gemacht. 2.000 Kilometer haben wir mit dem Auto zurückgelegt, und noch einmal 1.000 Kilometer mit dem Zug.