Allein unter Männern
Es war für Kay Deguchi ernüchternd, nach fünf Jahren in den USA und Australien in die Heimat zurückzukommen. Sie hatte an der Harvard Business School einen MBA erworben. Sie hatte in Top-Firmen wie General Electric und Walt Disney ihre Fähigkeiten bewiesen und Karriere gemacht. 2007 dann kam das verlockende Angebot, das sie zurück nach Japan brachte: Sie übernahm, 42-jährig, die Marketing-Abteilung beim japanischen Ableger des Pharmazie- und Konsumgüterproduzenten Johnson & Johnson.
Der Empfang durch die anderen Manager hätte kühler nicht sein können. „Es waren alles Männer, Durchschnittsalter 55“, sagt Deguchi, „und sie alle hassten mich.“ Heute kann sie darüber lachen, vor sieben Jahren aber musste sie kämpfen. Die jüngeren Mitarbeiter waren zwar offen für den Führungsstil, den Deguchi einführte. Sie machte Vorschläge zur besseren Vereinbarung von Berufs- und Privatleben, und sie nahm Vorschläge ihrer Untergebenen ernst. Die älteren Manager aber, die das Sagen hatten, „wollten lieber Mitarbeiter, die Anweisungen ohne Widerspruch ausführten und sie nicht herausforderten“. Das, sagt sie, ist in Japan noch immer die Norm: „Der Chef ist Gott.“
Deguchi liess sich nicht aufhalten. Seit Anfang Jahr ist sie die japanische General-Managerin des amerikanischen Biopharmaunternehmens Abbvie. Damit ist sie eine Ausnahme. Nur gerade vier Prozent der Firmen haben weibliche Verwaltungsräte, steht im „Gender Gap Report 2013“ des Weltwirtschaftsforums. Für das operative Management gibt es nicht einmal Zahlen. Auf der Gleichstellungs-Rangliste l iegt Japan auf P latz 105 von 136 (die Schweiz liegt auf Platz 9, Deutschland auf Platz 14).
Mehr Frauen, mehr Profit
Dabei bestätigen Studien regelmässig, dass Firmen mit mehr Frauen erfolgreicher sind und die Volkswirtschaft insgesamt davon protiert. Experten sind sich einig: Die drittgrösste Wirtschaftsmacht der Welt droht an Bedeutung zu verlieren, wenn sie das Potenzial ihrer Frauen nicht nutzt – von denen über die Hälfte sogar einen Universitätsabschluss hat.
„Frauen könnten Japans Wirtschaft retten“, proklamierte die erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, in Tokio im Herbst 2012. Fünf von zehn Japanerinnen (aber nur zwei von zehn Japanern) seien nicht in den Arbeitsmarkt integriert, sagte Lagarde. Und: Wenn der Beschäftigungsgrad der Frauen auf den der Männer gehoben werde, dann könne Japan sein Bruttosozialprodukt um 15 Prozent steigern. Allein damit wäre die wirtschaftliche Stagnation des Landes mehr als überwunden.
Zwar würde die Diversität ihrer Belegschaft für immer mehr Firmen zum Thema, sagt die Professorin und frühere McKinsey-Managerin Yoko Ishikura. Aber mit der Umsetzung hapere es, kritisiert die Expertin für Strategien und Wettbewerbsfähigkeit. Es fehlten Krippen plätze, es fehlten Stellen für Fachleute im mittleren Alter, zur Hauptsache aber fehle die kulturelle Akzeptanz, dass auch Frauen arbeiten, die verheiratet sind und Kinder haben.
Decke aus Eisen
Um Japan nach Jahren der wirtschaftlichen Stagnation besser für den Konkurrenzkampf zu rüsten, erklärte Japans Premierminister Shinzo Abe im April 2013 die Frauenförderung zur Priorität seiner „Abenomics“-Wirtschaftspolitik. In einer Rede vor der UNO legte der konservative Politiker nach: Er wolle „eine Gesellschaft schaen, in der alle Frauen glänzen“; bis 2020 sollen 30 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt werden. Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) kann sich indes nicht entschliessen, ob das Ziel gesetzlich bindend sein soll oder nicht.
Das macht es auch für ehrgeizige LDP-Frauen wie Yuriko Koike schwer. Sie wagte es 2008 als erste Kandidatin, ins Rennen um die Parteispitze und das Amt der Regierungschefin zu steigen, blieb jedoch weit abgeschlagen. Die frühere Verteidigungs- und Umweltministerin sagte damals in Anspielung auf Hillary Clinton, die gegen US-Präsident Barack Obama verlor: „Hillary benutzte das Wort ‹Glasdecke›, aber in Japan ist sie nicht aus Glas, sondern aus Eisen.“ Was Koike in der Politik verwehrt blieb, wurde ihr später in der Privatwirtschaft zuteil: Im April 2013 ernannte Renault sie zur externen Direktorin. Wegen ihrer Expertise in der Umwelttechnik, aber wohl auch, weil der französische Autohersteller in Japan mit Nissan kooperiert. Nissan-Chef Carlos Ghosn gilt als erklärter Befürworter von Diversität.
In der Grosszahl der Unternehmen sieht die Realität aber ganz anders aus. Schwangere Frauen fühlen sich häug von Vorgesetzten zum Aufhören gedrängt. 70 Prozent der Frauen scheiden mit der Heirat oder spätestens dem ersten Kind aus dem Arbeitsleben aus und kommen, wenn überhaupt, erst mit weit über 40 zurück. Zu spät für eine Karriere.
Die Mutter behütet das Heim
Eine grosse Rolle spielt dabei das traditionelle Rollenverständnis der Frau als Mutter, die das Heim behütet. Ein Drittel der jungen Japanerinnen wünscht sich so ihre Zukunft. „Der Einfluss der Erziehung, vor allem durch die Mütter, ist sehr stark“, sagt Professorin Yoko Ishikura. Inwieweit der geringe Frauenanteil in Japans Firmen an ihnen selbst liege, etwa an mangelndem Selbstbewusstsein oder Ehrgeiz, inwieweit an institutionellen Hürden, sei schwer abzuschätzen. Vize-Geschäftsleiterin Kay Deguchi rät jungen Frauen jedenfalls, sich möglichst früh darüber klar zu werden, was sie wollten, statt sich selbst als Opfer zu sehen. Sie sollten nicht erwarten, dass ihnen alles in den Schoss falle, sondern aktiv werden.
Gerade in der jüngeren Generation unter 40 ändert sich derzeit einiges. Kay Deguchi etwa beobachtet heute mehr arbeitende Mütter und Frauen in leitenden Positionen als noch vor ein paar Jahren, vor allem bei Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen und bei Start-up- und IT-Firmen. Für Veränderungsdruck sorgt nicht zuletzt die immer lauter tickende demographische Zeitbombe. Die Angst vor einem bröckelnden Sozialsystem ist greifbar. Ende März 2013 lebten in Japan rund 128 Millionen Menschen. 2040 sollen es Schätzungen nach nur noch 107 sein, davon mancherorts die Hälfte über 65 Jahre alt. Um das aktuelle sozialstaatliche Niveau zu halten, müsste jede Japanerin im Durchschnitt mehr als zwei Kinder bekommen. Doch seit Jahren sind es nur zwischen 1,3 und 1,4. Und vor allem dürfen die Frauen nicht aus dem Arbeitsprozess fallen.
Kay Deguchi, die vor sieben Jahren aus den USA zurückkam, ist dennoch zuversichtlich. Der Manager-Typ, gegen den sie damals ankämpfen musste, geht zusehends in Rente. „Innerhalb der nächsten fünf Jahre“, sagt sie, „werden wir eine kritische Masse an Frauen in guten Positionen erreicht haben.“