Der Einfaltspinsel
Die japanische Boulevardzeitung „Nikkan Gendai“ nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie kritisiert regelmäßig schonungslos den amtierenden japanischen Premierminister Shinzo Abe. In ihrer Ausgabe vom 10. Januar 2015 geht sie aber auch mit den großen japanischen Massenmedien hart ins Gericht. „Die Medien dieses Landes tun alles, nur nicht die Regierung kritisieren“, steht auf der ersten Seite groß. „Die Kapitulation der Asahi-Zeitung gegenüber der Regierung ist der Beginn eines Albtraums“, heißt es dort weiter. Es ist eine Anspielung auf die Skandale um ihre fehlerhafte Berichterstattung, die Nationalisten für ihre Zwecke nutzten.
Im Text spricht die „Nikkan Gendai“ Gerüchte an, dass Abe plane, insgesamt neun Jahre statt der durch die Unterhauswahlen im Dezember ermöglichten sechs Jahre im Amt zu bleiben (vier Jahre sind die Norm). „Dieser nichtskönnende, unwissende Premier, der sich die Regeln zurechtbiegt – das soll wohl ein Scherz sein?“, fragt sie darauf. Etwas ernster geht es weiter mit einer Umfrage der japanischen Zentralbank, die die Japaner befragt, wieviel Spielraum, also freie Ressourcen an Geld und Zeit, sie im täglichen Leben haben. „Mein Spielraum ist verschwunden“ sagten mit 51,1 Prozent mehr Japaner als im Jahr zuvor. Obwohl es viele Gründe gäbe, die Regierung zu kritisieren, seien solche Stimmen verstummt, moniert das Boulevardblatt.
Die „Schere im Kopf“ – sie scheint noch größer als ohnehin seit Amtsantritt Abes geworden sein. So soll Japans größter Fernsehsender NHK Comedians in einem wichtigen Programm zum Jahresende zum Beispiel verboten haben, politische Witze zu machen. Der NHK-Chef Morii, ein Abe-Vertrauter, bestreitet das. Zur Selbstzensur dürfte auch das umstrittene Geheimhaltungsgesetz beigetragen haben, das im Dezember in Kraft trat. Es droht Informanten und Journalisten bei einem Verstoß gegen unklar formulierte Regeln mit harten Gefängnisstrafen.
Zwar kommt die „Nikkan Gendai“ mit 1,76 Millionen Auflage nicht an die Zeitungen „Asahi“ und „Yomiuri“ heran, die die weltweit höchsten Auflagen mit 8 beziehungsweise 10 Millionen haben. Aber zumindest das Titelblatt lesen viele Tokioter regelmäßig, wenn sie sich etwa durch das U-Bahn-System bewegen und die Titelseiten vergrößert an den Kiosks sehen.