Journalistin, Aufnahmeleiterin & Filmemacherin in Japan
Bunte T-Shirts zum Verkauf auf der Insel Ulleungdo, beliebter Ferienort und Sprungbrett zur umstrittenen Insel Dokdo © Sonja Blaschke
Bunte T-Shirts zum Verkauf auf der Insel Ulleungdo, beliebter Ferienort und Sprungbrett zur umstrittenen Insel Dokdo © Sonja Blaschke

Schulbuchschlacht um Schatzinseln und Felsbrocken

Japan und Südkorea streiten um die Inselgruppe Takeshima/Dokdo. Tokio unterstreicht seinen Anspruch in Schulbüchern mit nationalistischen Inhalten. Es geht um Fischgründe und Tourismus. (publiziert auf welt.de hier)

„Als Kind habe ich einen Seelöwen aufgezogen“, erzählt Shoza Yawata. Der japanische Fischer ist heute 86 Jahre alt. Man sieht seiner Haut an, dass er Jahrzehnte auf See verbracht hat. „Der junge Seelöwe hat immer auf mich gewartet, wenn ich aus der Schule kam“, erzählt Yawata. Das Tier stammte von der Inselgruppe Takeshima.

Sein Onkel Isaburo hatte den kleinen Seelöwen einst für den Neffen mitgebracht. Heute wäre es ein südkoreanischer Seelöwe. Denn Südkorea beharrt auf sein Hoheitsrecht über die Inselgruppe Takeshima, die es Dokdo nennt. Seit Jahrzehnten streiten Japan und Südkorea erbittert um die Felsen im Japanischen Meer.

Der alte Mann und das Meer: Der japanische Fischer Shoza Yawata erklärt seine Sicht der Dinge um die "Schatzinsel". © Sonja Blaschke
Der alte Mann und das Meer: Der japanische Fischer Shoza Yawata erklärt seine Sicht der Dinge um die „Schatzinsel“. © Sonja Blaschke

Takeshima liegt 158 Kilometer südöstlich von Yawatas Heimat, dem Küstendörfchen Kumi auf der Inselgruppe Okinoshima in Westjapan. Sein Onkel Isaburo hatte die Inseln einst „Schatzinseln“ getauft, denn für die Fischer gab es dort weit mehr als Seelöwen zu holen. 400 Kilogramm Abalone-Muscheln, „Seeohren“ genannt, habe der Onkel dort täglich aus dem Meer gezogen, zehnmal mehr als in den Gewässern um Okinoshima.

Auch Wakame-Braunalgen sollen rund um die Schatzinseln zwei- bis dreimal länger gewesen sein als gewöhnlich. Die fruchtbaren Gewässer waren es, welche die hungrigen Seelöwen anzogen. Die Fischer aus Okioshima fingen sie gleich mit – und verkauften sie für viel Geld an Zoos.

Ganze 0,21 Quadratkilometer bedecken die 33 Felsen und die umliegenden Gewässer. Das ist ungefähr ein Fünftel der Fläche von Helgoland. Doch Japan beansprucht die Felsbrocken mit der gleichen Verve für sich wie Südkorea. Unversöhnlich stehen sich die Nachbarn gegenüber. Im August 2012 ließ sich der damalige südkoreanische Premierminister Lee Myung-bak demonstrativ auf Dokdo fotografieren. Seit einigen Tagen gibt es neue Querelen, weil Japan Schulbücher umschreiben ließ, und darin nachdrücklich darauf pocht, dass Takeshima japanisches Territorium sei. De facto kontrolliert aber Südkorea seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Inseln.

Seither ist es vorbei mit den Ausflügen japanischer Fischer zu den „Schatzinseln“. Wie es heute dort aussieht, weiß deshalb keiner in Japan so genau. Von denen, die dort waren, wie Yawatas Verwandte, lebt niemand mehr. „Näher als zwölf Seemeilen kommen wir nicht mehr an die Inseln heran“, sagt Toshinaga Hamada, ein freundlicher älterer Herr kleiner Statur. Er ist Vorsitzender der Fischereikooperative von Okinoshima-Stadt. Würden die Japaner versuchen, sich zu nähern, bekämen sie Ärger mit den südkoreanischen Fischern und der Küstenwache.

Süßigkeiten für japanische Patrioten. © Sonja Blaschke
Süßigkeiten für japanische Patrioten. © Sonja Blaschke

An dem schlechten Verhältnis der ostasiatischen Nachbarn konnten auch Vermittlungsversuche der USA nichts ändern, die sich wünschen, dass ihre zwei wichtigsten Partner in Asien gut miteinander auskommen. Indirekt könnte der Einfluss der USA aber bewirkt haben, dass sich Japan im Vergleich zu anderen Territorialstreitigkeiten im Fall Takeshima inzwischen vergleichsweise bedeckt hält. Zum „Takeshima-Tag“ am 22. Februar, den die Präfektur Shimane seit 2006 feiert, hatte sich die Kommunalregierung den Besuch eines Kabinettsmitgliedes gewünscht. Doch Tokio schickte lediglich einen Vertreter des Kabinettsbüros nach Okinoshima. Der steht mehrere Hierarchiestufen unter einem Minister.

In Okinoshima fühlt man sich deshalb von der Zentralregierung im Stich gelassen. Die alljährlichen Appelle an die Volksvertreter in Tokio hätten bisher wenig gebracht. „Es ist doch eine Frage der japanischen Souveränität“, findet der Bürgermeister von Okinoshima-Stadt, Kazuhisa Matsuda, ein grauhaariger Herr im Nadelstreifenanzug. „Takeshima ist japanisches Territorium“, beharrt er. Schon mehrfach habe er die Zentralregierung gebeten, den „Takeshima-Tag“ zum nationalen Feiertag zu erklären, damit die ganze Welt verstehe, dass die Inseln zu Japan gehörten. Bisher ohne Erfolg.

„Es ist doch eine Frage der japanischen Souveränität“, findet der Bürgermeister von Okinoshima-Stadt, Kazuhisa Matsuda. „Takeshima ist japanisches Territorium“, beharrt er. © Sonja Blaschke
„Es ist doch eine Frage der japanischen Souveränität“, findet der Bürgermeister von Okinoshima-Stadt, Kazuhisa Matsuda. „Takeshima ist japanisches Territorium“, beharrt er. © Sonja Blaschke

Matsuda wünscht sich schon seit Langem, dass Schulbücher im ganzen Land – statt wie bisher nur in der Präfektur Shimane – das Thema aufgreifen. Die Vorstellung der neuen Schulbücher Anfang April, die darauf insistieren, dass Takeshima japanisches Territorium sei, dürfte wohl auch die Frucht von Matsudas Lobby-Arbeit sein. Es ist das erste Mal, dass alle japanischen Schulbücher der „Heimat- und Sachkunde“ für Schüler zwischen zwölf und 15 Jahren den Anspruch der japanischen Regierung auf die Inseln enthalten.

Hamada, der Vorsitzende der Fischereikooperative, wählt nach den energischen Worten des Bürgermeisters einen etwas milderen Ton. Zwar hält auch er am japanischen Anspruch fest, doch er erwartet nicht, dass Takeshima in den nächsten Jahren zu Japan zurückkomme. Ihm und den Fischern geht es vor allem darum, in Ruhe in den Gewässern dort fischen zu können, so wie ihre Vorfahren. Doch das sei trotz eines bilateralen Abkommens, das beiden Seiten erlaubt, in „provisorischen Gewässern“ zu fischen, bisher kaum möglich. „Wenn wir gemeinsam mit den koreanischen Fischern um Takeshima fischen könnten, wären wir zufrieden“, sagt Hamada.

„Je schärfer der Ton im Inselstreit, desto mehr Touristen kommen“

Seine Zweifel an einer baldigen Lösung zugunsten Japans sind berechtigt. Denn Südkorea hat seit Anfang der 50er-Jahre Tatsachen geschaffen: drei Leuchttürme und ein Schiffsanlegeplatz wurden gebaut. Es gibt einen Heliport und Unterkünfte für einige Dutzend Polizisten und Zivilisten. Südkorea führt seit 1986 zweimal im Jahr Militärübungen durch, „um Eindringlinge in südkoreanisches Territorium abzuschrecken“, wie ein Regierungssprecher es ausdrückte.

Doch neben den nationalen Ansprüchen gibt es auch in Südkorea wirtschaftliche Interessen an der Inselgruppe, und zwar nicht nur wegen der Fischgründe dort. Seoul vermutet Bodenschätze unter dem Meeresgrund.

Momentan profitiert von den Streitigkeiten um Dokdo vor allem die nächstgelegene südkoreanische Insel: Ulleungdo. 70 bis 80 Prozent aller Ulleungdo-Besucher wollen von dort aus weiter zu den 87,4 Kilometer entfernten Dokdo-Inseln. Für gerade 20 Minuten vor Ort nehmen die Territorialtouristen mehrere Stunden auf der Fähre auf sich.

„Je schärfer der Ton im Inselstreit, desto mehr Touristen kommen nach Ulleungdo“, sagt Kang Cheol Su, Vizebürgermeister von Ulleung, dem größten Ort. Seit Shimane 2006 begann, den „Takeshima-Tag“ zu feiern, steige die Zahl der Touristen an, sagt Kang. 2013 waren es 415.000 Besucher. Zwei Drittel der lokalen Wirtschaft leben vom Tourismus.

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Kang Cheol Su, Vizebürgermeister von Ulleung auf der südkoreanischen Nachbarinsel von Dokdo, weist in Richtung der umstrittenen Inselgruppe. © Sonja Blaschke
Kang Cheol Su, Vizebürgermeister von Ulleung auf der südkoreanischen Nachbarinsel von Dokdo, weist in Richtung der umstrittenen Inselgruppe. © Sonja Blaschke

Das ist auch dringend erforderlich, denn die Tintenfischerei, die Ulleungdo vor 30 Jahren berühmt machte, bringt schon lange nicht mehr genug ein. Mangels Universität und Arbeitsplätzen wanderten viele junge Leute aufs Festland ab. Die Bevölkerung sei in den vergangenen 30 Jahren von mehr als 30.000 Menschen auf ein Drittel geschrumpft, sagt Kang. Wenn der bis 2020 geplante Flughafen gebaut wird, könnte dieser helfen, die Touristenströme gleichmäßiger über das Jahr zu verteilen und mehr Leute auf die Insel zu bringen. Denn im Winter kann die Fähre vom Festland manchmal nur ein- bis zweimal pro Woche anlegen.

Nur die Hälfte der Territorialtouristen schafft es, einen Fuß auf „südkoreanisches Territorium“ zu setzen. Häufig verhindern schlechtes Wetter und hoher Seegang die Überfahrt. So erging es auch Eun Souk Huh, einer aufgeweckten Koreanerin mittleren Alters mit ihrer Reisegruppe. Enttäuscht sitzt sie nun am Hafen von Ulleung und tröstet sich mit der lokalen Spezialität, in dünne Streifen geschnittener, roher Tintenfisch. „Wir kommen noch einmal wieder“, sagt Eun. Japans Anspruch auf die Inseln habe ihr Interesse an einem Besuch nur verstärkt.

Das zweite Trostpflaster vor Ort ist das überdimensionierte Dokdo-Museum. Der Prunkbau wurde gemeinsam vom Staat, der Regionalregierung und vom Elektronikkonzern Samsung finanziert. Der Eintritt ist kostenlos. 2013 freute man sich dort über 250.000 Besucher. Am Fuß des Museums verkaufen Souvenirläden bunte T-Shirts mit dem Aufdruck „Dokdo is Korean territory“.

Lee Seung Jin, ein älterer Herr, der das Museum leitet, zeigt stolz japanische Karten und Dokumente, die belegen sollen, dass Dokdo zu Südkorea gehört. Lee vermutet, dass die Inseln viele Koreaner daran erinnern, dass sie als Erste von den Japanern in Beschlag genommen wurden, bevor Japan von 1910 bis 1945 Korea kolonialisierte.

Vor 1992 habe die japanische Regierung nie über die Inseln gesprochen, sagt Lee. Hinter ihrem plötzlichen Interesse vermutet er innenpolitische und wirtschaftliche Gründe. In jedem Fall würden sich südkoreanische Reisebüros freuen, wenn der Konflikt mit Japan wieder stärker thematisiert würde, sagt Lee. Sie verdienen gut am Nationalgefühl der Südkoreaner.

In Japan gibt es nur zwei kleine Zimmer zum Thema, in Südkorea ein überdimensioniertes Museum (Bild) . © Sonja Blaschke
In Japan gibt es nur zwei kleine Zimmer zum Thema, in Südkorea ein überdimensioniertes Museum (Bild). © Sonja Blaschke

Stein des Anstoßes: Sexsklavinnen für die japanische Armee

Zwar ist der Inselstreit weitgehend von den Titelseiten verschwunden. Kurz vor dem 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Südkorea im Juni deutet sich dennoch keine Entspannung im bilateralen Verhältnis an. Der größere Stein des Anstoßes ist momentan das Thema der von der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg in die Prostitution gezwungenen Südkoreanerinnen.

Dass Takeshima darüber in Tokio, aber auch in Seoul nicht vergessen wird, stellen die Lokalregierungen von Shimane und Okinoshima mit ihren ständigen Appellen sicher. Obwohl Japan und Korea Nachbarn sind und gegenseitig die drittwichtigsten Wirtschaftspartner, wird es zum 50. Jahrestag wohl nur sehr schmal bemessene Feierlichkeiten geben. Einem größeren Fest stehen noch zu viele Felsbrocken im Weg.