Tokyo International Film Festival 2015:
Einsamkeit und Freitod
Zwei japanische Filme an einem Tag, in beiden geht es um die gleichen Themen: die Einsamkeit und die Entscheidung eines Menschen, lieber zu sterben als Leid auszuhalten. Der vorletzte Tag des diesjährigen Tokyo International Film Festivals (TIFF) war recht melancholisch.
„Sayonara“ spielt am letzten Tag Japans. Eine junge blonde Frau, Tanya, liegt auf einer Couch in einem Haus auf einer abgelegenen Bergwiese. Das hohe Gras darum herum ist vertrocknet und braun. Die Stimmung über der Landschaft ist so gedrückt wie die der Protagonistin. In 13 Atomkraftwerken in Japan sind Feuer ausgebrochen, das ganze Land wird evakuiert. Wer wie ich „3.11“ – „Fukushima“ – in Japan erlebt hat, driftet an der Stelle schon mal in „Was wäre gewesen, wenn…“-Überlegungen ab.
Zu den Letzten, die ausreisen dürfen, gehören Menschen mit Vorstrafen, Personen ausländischer Herkunft und Flüchtlinge wie Tanya, die einst aus Südafrika nach Japan kam. Die Frage, nach welchen Kriterien man eine solche Evakuierung organisieren würden, beschäftigt einen als Zuschauer.
Abgesehen von wenigen Kurzbesuchen anderer Wartender ist die einzige Gefährtin von Tanya die Roboterdame Leona. Sie ist ein älteres Modell, sitzt im Rollstuhl, kann sich jedoch eigenständig damit bewegen. Häufig bittet Tanya sie, ihr Gedichte zu rezitieren, auf Englisch, Deutsch und Französisch. Das Kunstwesen wird sich im Film als die menschlichste Figur von allen erweisen. Überhaupt funktioniert die Idee, eine nach echten Menschen von Forscher Hiroshi Ishiguro modellierte Roboterfrau an der Seite einer Schauspielerin aus Fleisch und Blut spielen zu lassen, erstaunlich gut.
Eine Nachbarin schaut manchmal bei Tanya vorbei und lockt sie von der Couch. Hinter der gutgelaunten Fassade verbirgt sich ein Geheimnis: Vor einigen Jahren habe sie ihr Kind umgebracht, durch Vernachlässigung, gesteht die Nachbarin. Bevor es ausreisen kann, darf sie ihren Sohn noch einmal sehen, wenige Minuten… Als bald danach bei einem traditionellen Sommerfest mit Bon odori-Tänzen plötzlich eine Metal-Band die letzten Stromreserven plündert und sich alle abreagieren, sieht die Nachbarin nur die Flammen eines Feuers, das die Musiker angesteckt haben …
Nicht in den Flammen, sondern im Schneetreiben von Hokkaido stirbt eine junge Frau im Film „Terminal“. Sie wirft sich vor den Zug, weil sie niemandem zur Last fallen will. Ihr Liebhaber, den sie vor Jahren plötzlich verließ und zufällig wiedertrifft, möchte mit ihr durchbrennen und seine Frau und seinen Sohn verlassen. Das wollte sie damit verhindern. Er zieht sich dennoch nach ihrem dramatischen Tod zurück, von seiner Familie, vom nächsten Karriereschritt, vom Leben insgesamt. Das ändert sich erst, als eine junge Frau, wie er von ihrer Familie seit vielen Jahren entfernt, ihn in ihre Geschichte hineinzieht – und dabei seiner eigenen Geschichte wieder näherbringt. Trotz des tragischen Beginns ist „Terminal“ zweifelsohne der hoffnungsvollere der beiden Filme.